Časopis ARS 43 (2010) 2

Michaela ŠEFERISOVÁ LOUDOVÁ

Maulbertschova freska ve Filosofickém sále Strahovské knihovny: forma a technika
[Maulbertsch’ Fresko im Philosophischen Saal der Stiftsbibliothek Strahov: Form und Technik]
[Maulbertsch’s Fresco in the Philosophical Hall of the Strahov Library: Form and Technique]

(Resumé)

Das Deckenfresko Die geistige Entwicklung der Menschheit aus dem Jahr 1794 am Gewölbe des Philosophischen Saals der Bibliothek der Prämonstratenserabtei in Prag-Strahov von Franz Anton Maulbertsch (1724 – 1796) wurde schon etliche Male kunsthistorisch erforscht. Die Malerei weckte schon immer Interesse durch ihr bemerkenswertes ikonographisches Programm und ihren Bezug zum untergangenen Fresko von Maulbertsch am Gewölbe des Bibliotheksaals im Prämonstratenserstifts in Louka u Znojma/Klosterbruck bei Znaim aus dem Jahre 1778.

Abseits des Interesses der Fachöffentlichkeit blieb der formale Aspekt des Werkes von Maulbertsch in Strahov. Die Ursache dürfte die nicht besonders positive Bewertung dieser Malerei und weiterer Fresken aus der Spätzeit des Künstlers in den 1780er- und 1790er-Jahren gewesen sein, denen Trockenheit, malerische Härte und kaltes Kolorit vorgeworfen wurde.

Einen neuen Blick auf die Frage bietet die jüngst vollendete Restaurierung dieses Deckengemäldes (September 2009 – Mai 2010). Die Restaurierungsarbeiten ermöglichten eine Betrachtung aus unmittelbarer Nähe, was zu einer neuen Bewertung dieses letzten Werks des Malers führte, bei der Unterscheidung der von ihm und von seinem Helfer, Martin Michl, gemalten Teile half und einige Details zur Vertiefung und Ergänzung unserer Kenntnis der technischen Vorgangsweise im Bereich der barocken Freskomalerei ans Licht brachte.

Die verwendete Technik geht bereits aus dem deutschen gedruckten Titel des Deckengemäldes hervor – „Kalkmahlerey in Fresko“. Der Umgang mit der Farbe weist jedoch auf einen wesentlichen Anteil an Seccomalerei hin, was übrigens für Maulbertsch’ Arbeitsweise, wie sie von Manfred Koller und Jörg Riedel beschrieben wurde, charakteristisch ist. Das Verhältnis der Fresko- zur Seccomalerei war nicht genau festgelegt. Einige Partien wurden in den frischen Putz gemalt (Fresko), größere Teile, vor allem in der Mitte des Gewölbes, auf den trockenen Putz (al secco), wobei die Farbpigmente mit Kalk gemischt wurden („Kalksecco“ – deshalb der pastellfarbene, trübe Charakter der Malerei im Zentralteil). Es ist wahrscheinlich, dass der Anteil der Seccomalerei, die physisch nicht so anstrengend war wie die Freskomalerei, mit dem zunehmenden Alter des Malers in seinem Werk wuchs. Das bestätigen vor allem die Teile in der Mitte des Gewölbes, wo der Maler mit zurückgebeugtem Kopf malen musste. Die Technik, mit der die Malerei geschaffen wurde, könnte aber verlässlich nur auf Grund einer speziellen Untersuchung festgestellt werden. Im Figuralteil des Bildes wurden keine eingravierte Vorzeichnung oder sonstige Hinweise auf die Benutzung von Hilfskartons gefunden, was mit einer ganzen Reihe formaler Züge der gestalteten Figuren, z.B. ihren ausdruckvoll, expressiv dargestellten Gesichtern, darauf hinweist, dass es sich um Maulbertsch’ ausschließliche eigene Malerei handelt. Die Betrachtung aus der Nähe ermöglichte eine detaillierte Beobachtung des für den Maler typischen freien Duktus, der sich durch breite Pinselstriche und das Nebeneinander kontrastreicher Farbtöne auszeichnet. Dieser Umgang mit der Farbe geht in einigen Gesichtspartien fast in ein Kneten der Farbmassen über, die mit schnellen Pinselstrichen übereinander aufgetragen sind. Nachfolgend wurde den Figuren durch die krausen dünnen Linien der Haare und Bärte sowie die Anbringung der Lichter und Schatten um die Augen Lebendigkeit und Ausdruck verliehen.

Malerisch am hochwertigsten erscheint die Szene über der kürzeren Nordseite des Saals mit Figuren des Alten Testaments um die strahlende Bundeslade. Zu den besonders hochwertigen Teilen dieser Malerei zählen die zentrale Figur des Moses, der an der Harfe spielende König David, sein Sohn Salomon oder das Paar Abraham und Isaak. Die künstlerische Qualität der Malerei im nördlichen Teil des Gewölbes erreicht auch die Darstellung einiger weiterer Figuren, vor allem ihrer Gesichter, über den Längsseiten des Saals im Osten und Westen. Auf der Ostseite, wo die Schilderung der geistigen Entwicklung der Menschheit mit der Darstellung des Königs Deukalion und seiner Gattin Pyrrha beginnt, ist es die malerisch attraktive Figur des Feldherrn und Eroberers Alexander von Makedonien, auf dessen Gewand Maulbertsch die pastose Malerei reichlich applizierte (reiner Kalkmasse). Auf der Westseite findet sich das Paar des weisen Tyrannen der Stadt Lindos auf der Insel Rhodos Kleobulos und seiner Tochter Eumenides oder Kleobuline. Deren jugendliches Antlitz ist zweifelsohne die beste Darstellung eines Frauengesichts am Gewölbe des Philosophischen Saals. Bei der Beobachtung dieser sehr hochwertigen Teile der Maulbertschen Malerei fällt der Kontrast zu den stürzenden Riesen hinter Kleobulos und Kleobuline auf. Die Riesen, die für niedrige, die Religion missachtende Kreaturen stehen, sind sehr flüchtig gemalt, die Farbe nur in einer dünnen Schicht aufgetragen, die Umrisse der Formen nur mir rotbraunen Linien angedeutet. Die gleiche künstlerische Auffassung findet man auch auf der gegenüberliegenden Seite bei den Figuren aus dem Beginn der Menschheit: bei Deukalion und Pyrrha und den aus Stein entstehenden Soldaten oder bei den Satyrn und dem Kentauren, die eine weitere, immer noch primitive Etappe der Geschichte der Menschheit darstellen. Es ist daher offensichtlich, dass die Qualität der künstlerischen Ausführung davon abhing, wie bedeutend die Stellung derjeweiligen Figur in der ganzen Szene war und ob sie positiv oder negativ war. Die expressivsten Teile der ganzen Malerei sind die drei Figuren der fallenden Enzyklopädisten, die gemeinsam mit den Riesen durch die Kraft der Ewigen Weisheit hinabgestürzt werden. Obwohl sie in keiner erhaltenen Beschreibung der Malerei angeführt werden, zeigen die Art und Weise ihrer malerischen Gestaltung (dickere Farbschichten an den Gesichtern und graphisch darübergelegte Haare), dass sie eine wichtige Rolle sowohl in der Komposition als auch vor allem in der inhaltlichen Aussage spielten. Die Szene aus dem Neuen Testament und die zentrale Szene der triumphierenden Weisheit gehören zu den qualitativ schwächeren. Die weiblichen Personifizierungen und die Engel um die Ewige Weisheit inmitten des Gewölbes sind vorwiegend in sehr hellen Pastelltönen gemalt. Derartig gestaltete Formen wurden vom Maler durch rotbraune Umrisslinien hervorgehoben, ähnlich den Figuren im Hintergrund hinter dem Altar in der Szene aus dem Neuen Testament. Die verschiedenartige malerische Ausführung der einzelnen Figuren am Ge¬wölbe des Philosophischen Saals, erkennbar bei der Beobachtung aus der Nähe, erzeugt den Eindruck einer niederen künstlerischen Qualität des ganzen Kunstwerks. Beieiner konzentrierteren Betrachtung und mit Kenntnis der inhaltlichen Botschaft ist es jedoch evident, dass der Maler einen Unterschied zwischen den Figuren auf Grund der Wichtigkeit und Bedeutung der jeweiligen Figur in der erzählten Geschichte machte, und zwar nicht nur auf Grund dessen, ob es sich um eine Haupt- oder Nebenfigur handelte, sondern auch je nachdem, ob ihre Rolle positiv oder negativ war. Selbstverständlich können wir die Schwachstellen der Malerei nicht verheimlichen, an denen zu erkennen ist, dass Maulbertsch nicht mehr über genügend physische Kräfte für so eine anspruchsvolle Aufgabe verfügte. Wir können allerdings auch nicht bestreiten, dass sich seine außerordentliche malerische Begabung auch in hohem Alter bei vielen Details, vor allem an den Gesichtern und Gesten der Figuren, zeigte.

Bei einer detaillierten Betrachtung des Werks bemerken wir eine Menge Details, welche durch eine auffällige Zeichnung hervortreten und sich deutlich von Maulbertsch’ lockerer Pinselmalereiunterscheiden. Es handelt sich vor allem um sorgfältig gemalte liturgische Gefäße, Insignien und Attribute der dargestellten Figuren und Stillebenmotive, wie die Kugel an der Kette, die auf Sokrates’ Verhaftung hinweist, die mathematischen, physikalischen und medizinischen Hilfsmittel der altertümlichen Gelehrten auf der Westseite oder die Symbole der Laster, die aus dem Füllhorn in der zentralen Szene mit der Ewigen Weisheit gestreut werden. Diese bereits auf den trockenen Putz gemalten Details sind fast mit Sicherheit Maubertsch’ Helfer Martin Michl zuzuschreiben. An einigen Stellen blieb sogar eine sichtbare Vorzeichnung mit dunklem Kohlenstift erhalten, die vor allem auf der Nordseite des Saals in der Szene aus dem Alten Testaments zu sehen ist. Dem Helfer Michl anvertraut wurden zudem die Aufschriften, Noten, Musikinstrumente, das Abteiwappen auf der wehenden Fahne unter der Ewigen Weisheit, das Spinnennetz eines der Enzyklopädisten und die Linien der Strahlen, die aus der Bundeslade sowie der Figur der Ewigen Weisheit dringen und auch den Heiligenschein des Apostels Paulus bilden. Gerade beim Malen der Strahlen bediente sich Michl eines in der Freskomalerei bekannten technischen Mittels – er schlug in die Mitte des Objektes, aus dem die Strahlen hervorleuchten sollten, einen Nagel und malte nach einer am Nagel befestigten und gespannten Schnur die einzelnen Linien. (Die Nagellöcher sind am Gewand der Ewigen Weisheit, nahe der oberen Kante der Bundeslade und am Gesicht des Apostels Paulus sichtbar.) Das gleiche technische Mittel wurde bei einer Reihe von Architekturelementen eingesetzt, bei denen an vielen Stellen die Vorzeichnung zu sehen ist. In diesem Fall wurde die Schnur wegen der Gewölbekrümmung nicht direkt an den Putz gelegt, sondern die Linie, die sie in der Luft über dem Gewölbe bildete, mit Hilfe einer Kerze als Schatten an die Wand projiziert. Die Hilfslinien wurden direkt in den nassen Putz gezeichnet. (Der Nagel zur Konstruktion der architektonischen Elemente an der westlichen Wand wurde unmittelbar unter dem Fuß eines der Engel unter der Ewigen Weisheit gefunden.) Sehr konsequent wurde durch Vorzeichnung die Malerei der geraden architektonischen Elemente in den Szenen aus dem Alten und Neuen Testament an den kürzeren Seiten des Saals vorbereitet. In geringerem Maße finden wir eingravierte Linien auch auf der Westseite des Saals, wo diese bei der definitiven Umsetzung nicht immer berücksichtigt wurden (der linke Teil von Sokrates’ Gefängnis mit Grabstein). Eingravierte gerade Linien grenzen außerdem den ornamentalen Rahmen ab, der das ganze Deckengemälde umläuft und offensichtlich auch von Martin Michl stammt. Aus diesen Feststellungen lässt sich schließen, dass die gewöhnliche, bereits aus der vorherigen Werk¬stattpraxis Maulbertsch’ bekannte Aufteilung der Arbeiten in Strahov eingehalten wurde. Der figurale Teil wurde von ihm gestaltet, die Illusionsarchitektur (inkl. des Illusionsrahmens des Bildes) und kleinere Details von seinem Schüler Michl. Michl können wir ganz sicher auch den Hintergrund zuschreiben, und zwar sowohl den Himmel im mittleren Teil als auch die Landschaftsmotive am Gewölberand. Ein Vergleich der von Michl signierten Zeichnung des Abts Mayer aus dem Jahre 1794 (Graphische Sammlung der Stiftsbibliothek Strahov) mit dessen Portrait in der Gruppe der westlichen Kirchenväter und tschechischen Landespatrone in der Szene aus dem Neuen Testament zeigt überzeugend, dass Michl der Urheber auch dieses Details des Gemäldes in Strahov sein muss. Der ausgeprägte Zeichnungscharakter ergab sich in diesem Falldurch die Malaufgabe, nämlich das Porträt des Abtes Mayer. Allgemein wurde Michls zeichnerische Orientierung durch seine Schulung an der Wiener Akademie geprägt, wo er sich im Jahr 1789 inskribierte und wo im Sinne des aktuellen klassizistischen Stils gerade die Zeichnung betont wurde.

In einigen formalen Aspekten ist der figurale Teil der malerischen Ausschmückung der Kapelle im Lyzeum in Erlau/Eger aus den Jahren 1792 – 1793 mit dem Gemälde in Strahov auffallend identisch. Diese Arbeit, an der Michl als Maulbertsch’ Helfer nachweislich beteiligt war, ging dem Auftrag in Strahov voraus. Obwohl ihm bis jetzt in erste Linie die dekorative Illusionsmalerei in der Kapelle zugeschrieben wurde, lässt sich nicht ausschließen, dass er auch bei der Gestaltung des Figuralteils des Gewölbegemäldes stärker mitwirkte, indem er die Attribute der Heiligen, die Strahlen des als Taube dargestellten Heiligen Geistes oder den Baum hinter der Figuren von Adam und Eva schuf.

Übersetzung ins Deutsche von Eva Gruber