Časopis ARS 31 (1998) 1-3

Mária PÖTZL-MALÍKOVÁ

„Magnificat anima mea Dominum“. Na okraj výstavy Majstra MS v Budapešti
[„Magnificat anima mea Dominum“. Anmerkungsweise zur Ausstellung des Meisters MS in Budapest]

(Resumé)

Die Präsentation der Heimsuchungstafel des Meisters MS aus dem Jahre 1506 - nach dem Abschluß einer umfassenden Restaurierung - war für die Eigentümerin dieses Werkes, die Ungarische Nationalgalerie (Magyar Nemzeti Galéria) in Budapest ein willkommener Anlaß, diesem Künstler im Frühjahr - Sommer 1997 eine Sonderausstellung zu widmen. In einer kleinen, aber wirkungsvoll gestalteten und sorgfältig vorbereiteten Schau wurden alle seine bisher bekannten Tafeln gezeigt und eine ausführliche Dokumentation über die abgeschlossene Restaurierung und den angenommenen ursprünglichen Bestimmungsort dieser Werke vorgestellt: dem Hochaltar der Kirche Maria Himmelfahrt in Banská Štiavnica (deutsch: Schemnitz, ung.: Selmecbánya). Eine sinnvolle Ergänzung bot auch die Ausstellung jener graphischen Blätter aus dem Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts, aus denen sich der Meister MS nachweislich inspirierte, oder die interessanten stilistischen Parallelen zu seinem Werk bieten. In den so das erste Mal versammelten, wenigen bisher bekannten Tafeln des Künstlers fehlte nur ein einziges Werk, und zwar jenes, das sich noch in der Slowakei, im ursprünglichen Wirkungsgebiet des Künstlers befindet: die Tafel mit der Geburt Christi in der Pfarrkirche in Svätý Anton (ung.: Hontszentantal). Es ist sehr zu bedauern, daß die einmalige Gelegenheit, dieses Werk im Gesamtkontext des Oeuvres von Meister MS zu sehen, damit verspielt wurde und das offenbar ohne wirklich triftigen Grund. Vor Jahren, unter politisch sicherlich viel schwierigeren Umständen war es möglich, diese Tafel nach Österreich, zur Ausstellung über die Kunst der Donauschule zu schicken, warum dann nicht jetzt in unseren demokratischen Verhältnissen, auf eine Ausstellung, die direkt dem Meister MS gewidmet war?

Die Ausstellung begleitete ein umfangreicher, sehr anspruchsvoller und gut gebildeter Katalog, der über das Ereignis hinaus an seiner Bedeutung sicherlich nichts verlieren wird. Er enthält neben dem detaillierten Restaurierungsbericht mehrere selbständige Beiträge ungarischer Mediaevalisten, von denen man aber sagen muß, daß sie, wie so oft bei solchen Anlässen, etwas unterschiedlich ausgefallen sind. Es ist sehr begrüßenswert, daß zu allen Aufsätzen ziemlich ausführliche Zusammenfassungen in englischer Sprache vorliegen, die aber keinem einheitlichen Konzept folgen. Sie sind teilweise lang, teilweise kürzer, gelegentlich wirkliche Zusammenfassungen, manchmal direkte Übersetzungen. Schade, daß bei einem so aufwendigen Katalog das Geld offenbar doch nicht dazu ausreichte, eine vollständige englische Version herauszugeben, es hätte sich gelohnt!

Der einführende Beitrag von Miklós Mojzer, faßt nicht nur die bisherige Forschung über den Meister MS zusammen, an der gerade dieser Autor in einer Reihe von bemerkenswerten Arbeiten das wesentlichste Verdienst hat, sondern publiziert das erste mal ausführlich auch Erkenntnisse aus der Archivforschung, die bisher nur teilweise bekannt waren. Diese stellen die alte Meinung, die Tafeln des Meisters MS seien für die Katharinen-Kirche von Banská Štiavnica bestimmt gewesen, mindestens in Frage. Wie bereits gesagt, sind diese Werke nach Mojzers Deduktionen alle für den fast gleichzeitig entstandenen, 1506 fertiggestellten Hochaltar der Marienkirche der Stadt gemalt worden.

Zu Mojzers Interpretationen, die von der Autorin des Katalogteiles, Györgyi Poszler, kritiklos übernommen wurden, erlaube ich mir - als Außenstehende - doch einiges einwenden. Ich hoffe, daß meine Bemerkungen nicht als Polemik, sondern nur als Diskussionsbeitrag verstanden werden.

Bei der bis heute nicht zufriedenstellend geklärten Frage nach der Herkunft des sehr eigenwilligen Stils des Meisters MS wurde von Mojzer und von anderen Autoren sicher mit Recht auf den starken Nachhall der Schongauer-Tradition und die Inspiration durch die Werke Dürers hingewiesen. Edith Pogány-Balázs hat darüber hinaus den Einfluß von Mantegnas graphischen Werken hervorgehoben. An ihre Ansichten knüpfte Miklós Mojzer an, der diesen Einfluß um weitere Werke italienischer Renaissancekünstler erweiterte, andererseits aber betonte, daß der Meister MS noch stark der mittelalterlicher Tradition verpflichtet ist und nichts vom Geist der italienischen Renaissance aufgenommen hatte. Nach meiner Ansicht ist der vermutete direkte Einfluß einzelner Werke Mantegnas und anderer italienischer Künstler überwertet, die für diese These als Beweis herangezogenen stilistischen Vergleiche haben mich nicht sehr überzeugt. Im Gegenteil: fast alle kann man mindestens ebenso gut auch aus der Kunst nördlich der Alpen ableiten. Bei der wenig bekannten Tafel mit der Anbetung der Hl. drei Könige, die sich im Museum von Lille befindet und die man auf dieser Ausstellung zum ersten Mal im Zusammenhang mit den anderen Tafeln des Künstlers sehen konnte, stellt sich die Frage nach seiner Kenntnis der damaligen Augsburger Kunst (wobei ich aber die längst überwundene These vom Zusammenhang mit Jörg Breu nicht wieder aufwärmen möchte).

Das Werk aus Lille, das so viele neue Fragen aufwirft, enthält als einziges auch ein Kryptoporträt eines etwa 30-jährigen Mannes, der einen der Hl. drei Könige darstellt. Nach Mojzers Meinung handelt sich wahrscheinlich um ein Selbstpoträt des Künstlers. Der Autor widerspricht damit seiner andererseits vertretenen Ansicht, die meiner Meinung nach sehr plausibel ist: der Meister MS sei, als er seine bis heute erhaltenen Tafeln gemalt hatte, schon ein älterer Mann gewesen. Die von Zsuzsa Urbach im Katalog geäußerte Meinung, das Kryptoporträt stelle ein Mitglied der Familien Fugger, Thurzo oder Haller dar, trifft aber sicherlich nicht zu, denn die Porträts der in Frage kommenden Personen sind uns entweder genügend bekannt oder es stimmen ihre Lebensdaten nicht. Es würde sich lohnen, dieser Frage weiter nachzugehen, denn die Identifizierung der dargestellten Person könnte uns helfen, manche der noch ungeklärten Fragen zu beantworten.

Nach Mojzers Rekonstruktion, die man auch in einer Photomontage auf der Ausstellung sehen konnte, waren alle Tafeln, auch das Werk in Lille, Teile eines einzigen Altares. Sie bildeten die sog. "Werktagsseite" eines Schreinaltares, d.h. die Bilderserie, die man bei geschlossenem Schrein zu sehen bekommt. In der oberen Reihe befanden sich demnach die Tafeln des mariologischen Zyklus: Verkündigung (heute verschollen), Heimsuchung, Geburt Christi und Anbetung der Hl. drei Könige. Darunter, ebenfalls von links nach rechts sah man Darstellungen aus der Passion: Öllberg, Kreuztragung, Kreuzigung und Auferstehung. Eine solche Anordnung ist zwar nicht ausgeschlossen, aber sie widerspricht allen ikonographischen Gepflogenheiten bei einem gotischen Schreinaltar, der fast immer nach bestimmten wenig variablen thematischen Mustern gestaltet wurde. Daher ist meiner Meinung nach diese Rekonstruktion höchstens als eine interessante Hypothese zu betrachten. Die erwähnte Photomontage aller Tafeln in dieser angenommenen Reihenfolge war übrigens optisch wenig überzeugend, sie wirkte in der Gesammtkomposition sehr unausgewogen. Da wir auf Grund der Quellen wissen, daß in der Stadt um 1500 fast gleichzeitig zwei monumentale Hochaltäre für zwei Kirchen, die Marien- und die Katharinenkirche entstanden sind, wäre es da nicht besser gewesen, diese Frage vorläufig offen zu lassen und die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß diese Werke von zwei Altären stammen? Das umso mehr, als zwischen dem Passionszyklus einerseits und den beiden Tafeln mit der Geburt Christi und der Anbetung der Hl. drei Könige andererseits, bei derselben Autorenschaft doch ein stilistischer Unterschied zu spüren ist?

Zuletzt noch eine kleine Bemerkung: es war eine gute Sitte der ungarischen Kollegen, besonders wenn sie sich an das internationale Publikum gewandt haben, bei den Herkunftsorten (wenigstens in Klammern), auch ihre heutigen, slowakischen Namen, ja sogar auch ihre deutschen Namen anzugeben. In diesem Katalog findet man sie kaum noch, nicht einmal in den englischen Texten. Man muß sich fragen, ob jetzt ein schärferer Wind auch von der anderen Seite der Donau her weht?