Časopis ARS 36 (2003) 2

Jozef MEDVECKÝ

Addenda k Thurzovmu oltáru „Speculum justificationis“ (predlohy a realizácia)
[Addenda zum Thurzo-Altar „Spiegel der Rechtfertigung“ (Vorlagen und Durchführung)]
[Addenda to the Thurzo Altar “Speculum justificationis” (Models and Execution)]

(Resumé)

In der einheimischen Malerproduktion des beginnenden 17. Jahrhunderts in der Slowakei ragt ein bemerkenswertes Werk hervor - der Altar, welcher vom Graf Georg Thurzo, Palatin von Ungarn, für die Kapelle seiner Burg Orava im Jahre 1611 bestellt wurde. Der etwa 10 Meter hoher Holzaltar bildete die Dominante der Kapelle. Seine neun Bilder drücken - im Einklang mit Thurzos orthodox protestantischer Orientierung - in synthetischer Form die Grundprinzipien der Lutherschen Lehre von der Rechtfertigung der Sünder aus. Außer der Repräsentation des Auftraggebers stellte der Altar gleichzeitig auch sein "bildliches Glaubensbekenntnis" dar. (Thurzos Erben, die dann zum Katholizismus konvertiert sind, haben den Altar im 18. Jh. der evangelischen Adelsfamilie Justh nach Necpaly im Komitat Turiec geschenkt, wo er bis heute in der evangelischen Kirche aufbewahrt wird.).

Die kleineren auf Holz gemalten Altarbilder stellen die eindeutig festgelegten biblischen, in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts üblichen Themen dar (seitlich auf den Flügeln Ausspeiung des Jonas und Simsons Löwenkampf, die Vertreibung aus dem Paradies und den Gekreuzigten Christus). In der Mitte der Predella befindet sich das Abendmahl mit zwei kleineren oktogonalen alttestamentarischen Szenen auf beiden Seiten (Mannalese, Moses schlägt das Wasser vom Felsen), im Altaraufsatz wiederum Jüngstes Gericht und zwei Familienwappen auf den Seiten. Charakteristisch ist auch ihre Beschriftung mit den entsprechenden Zitaten, mit denen sie in den Intentionen der protestantischen Kunst eine typologische Bedeutungseinheit bilden.

Der ikonographische Schwerpunkt wird aber von dem großen zentralen Leinwand (380 x 260 cm) gebildet, oben mit der bezeichnenden Überschrift "SPECULUM IUSTIFICATIONIS", die sich ihrer Inhalt und ihrer Form nach den gebräuchlichen ikonographischen Schemen entzieht. In der einzigen Komposition sind hier synthetisch die komplexen Thesen der Lutherschen Interpretation der Lehre von "der Rechtfertigung des armen Sünders vor Gott" dargestellt. Die lateinischen Aufschriften und biblischen Zitate sind als integraler Bestandteil der Komposition direkt in das Gemälde hineingeschrieben; ihr dogmatischer Inhalt wird mittels der abgebildeten Motive illustrativ wortwörtlich und ohne jede Narrativität weitergegeben. Die Vereinigung des Wortes mit Bild und die Konstruktion solcher komplizierten Allegorien, die sich bemühen, auf synthetische Weise im Rahmen einer Abbildung die hauptsächlichen theologischen Dogmen zum Ausdruck zu bringen, ist für die protestantische Kunst dieser Epoche charakteristisch.

Autor der Altarbilder ist nicht bekannt. (Ihre Zuschreibung dem Maler J. Khien aus Neusohl/Banská Bystrica, tradiert in der Literatur, ist als unbegründet zurückzuweisen.) Der Malerstil und der Gesamtcharakter der qualitativ besseren, von dem niederländischen Manierismus beeinflußten Altarbilder führt uns zur Voraussetzung, daß der Thurzo-Altar als ein Ganzes auf Thurzos Bestellung in einem der damaligen Kulturzentren entstanden ist und zu uns nur importiert wurde.

Es ist jedoch sicher, daß die Komposition des Oravaer Zentralbildes auch in der graphischen Form existieren mußte, wie die Illustration zu einer theologischen, im Druck veröffentlichten Schrift. Als Beweis diente Feststellung ihrer späteren Benutzung bei drei Bildern, die nach der identischen Vorlage in Deutschland gemalt wurden: Altargemälde in Pegau bei Leipzig (J. Wendelmuth, 1621), auf einer Kupferplatte gemaltes Bild, heute in den Sammlungen des Stadtmuseums in Lindau am Bodensee (J. Hiebeler, 1622), und ein Tafelbild von M. Rastrum, der angeblich erst um das Jahr 1660 für die Kirche in Grossenhain unweit von Meissen entstand.

Die gemeinsame Kompositionsvorlage blieb doch lange unbekannt, und auch das Versuch des Autors, den Thurzo-Altar zu interpretieren (Medvecký 1994), konnte darum allein aus der Analyse des erhaltenen Werkes, auf Grund der Identifizierung der abgebildeten Motive, Aufschriften und Zitate auf dem Altar ausgehen. Stilcharakter des Komplexes der neun Altarbilder aus dem Jahre 1611 deutet die Zuneigung ihres unbekannten Autors zur Malkunst des späten mitteleuropäischen Manierismus an; man könnte also annehmen, dass die vermutliche Herkunft der Abbildung in dem graphischen Schaffen um das Jahr 1600 zu suchen ist.

Wie dann zuletzt zutage kam (Koch 2000), entstand die Vorlage um ein Vierteljahrhundert früher. Es handelt sich um ein Kupferstich, hergestellt nach dem Entwurf des berühmten Stechers und Verlegers Jost Amman (1539-1591) in seiner Nürnberger Werkstatt. Die eigentliche Gestaltung des graphischen Blattes, gedrückt in 1585, ist die Arbeit des Zeichners und Kupferstechers Alexander Mair (um 1559 - 1617). Wie geht aus den Aufschriften hervor, der Kupferstich wurde auf Bestellung von Kaspar Melissander (mit eigenem Namen Bienemann, 1540-1591), Doktor der Theologie, seit 1578 evangelischer Generalsuperintendent in Altenburg (Meissen), verfertigt, und seinem Verwandten, dem Nürnberger Patrizier Johann Gundlach gewidmet. Melissander erklärt seine Idee der Abbildung im lateinischen Text ("Exegesis Speculi iustificationis...", herausgegeben in Leipzig 1585; deutsch in 1587 und 1589).

Der Inhalt des graphischen Blattes mit dem gedruckten erklärenden Kommentar und die theologischen Kontexte der Invention von Melissander im Zusammenhang mit den Bildern in Pegau und Lindau wurden unlängst von Ernst Koch ausführlich analysiert. Oravaer Thurzo-Altar war ihm nicht bekannt und das Bild von Grossenhain erwähnt er auch nicht (das Bild wurde im Jahre 1945 vernichtet, es hat sich nur seine Photographie aufbewahrt).

Das Zentralbild des Oravaer Altars aus dem Jahre 1611 ist die früheste von bisher bekannten Maleräusserungen der Nürnberger graphischen Komposition (Pegau 1621, Lindau 1622, Grossenhain 1660), und dem Ausmaß nach auch die monumentalste. Obendrauf, zum Unterschied von den deutschen Beispielen, der Turzo-Altar übernimmt am pünktlichsten nicht nur die Komposition des Zentralbildes, sondern auch das Werk im Ganzen, seine Idee, die dreiteilige Struktur und Ikonographie.

Neben dem eindeutig religiösen Inhalt und seinen theologischen Zusammenhängen, die aus der Konfessionshinsicht interessant sind, ist die Untersuchung der eigentlichen Realisation des Altars, seine künstlerisch-geschichtliche Auswertung und Einreihung im Kontext des zeitgemäßen Schaffens auch sehr wichtig. Die Funktion der Schnitzteilen ist nur untergeordnet, die Malerkomponente im Altarganzen dominiert künstlerisch sowie der Bedeutung nach. Die Gemälde des Altars, die stilmäßig zur damals aktuellen manieristischen Ansicht inklinieren, reflektieren die zeitgenössische Situation der Kunst auf der Wende der zwei Stilepochen. Das Schlüsselproblem bleibt darum vor allem die Identifikation des bisher unbekannten Autors.

Die Komposition des auf Leinwand gemalten Zentralaltarbildes wird relativ präzis aus der Nürnberger Vorlage übernommen. Bei der Realisation der kleineren Tafelgemälden (Ölgemälde auf Holz) hat der Maler größere Freiheit gehabt, was in verschiedener Beziehung und verschiedenem Abhängigkeitsgrad deren von der Ausgangsvorlage zum Ausdruck kam. Sein erfinderischer Zutritt kann auch durch die Verwendung von weiteren graphischen Vorlagen dokumentiert werden, die ihn bei der Komposition der einzelnen Szenen nachweisbar inspiriert haben. Unter denen, die wir bis jetzt identifiziert haben, überwiegen eindeutig die Kupferstiche der verästelten Familie Sadeler, verbreitet und beliebt in dem ganzen Europa.

Selbst die Identifizierung des gemeinsamen Prototyps bringt keine Antwort auf weitere wesentliche Fragen: Das graphische Blatt und seine lateinische Explikation existierten schon in Jahre 1585; warum aktualisierte sich Melissander's "Speculum" erst in der Zeit der Lutherschen Orthodoxie der ersten Dezennien des 17. Jahrhunderts (wann alle bisher bekannte, jedoch nicht zusammenhängende Fälle der Anwendung der Vorlage für die Malerwerke in Sachsen, Schwaben und in Orava entstanden)? Für uns ist natürlich besonders wichtig die Frage, wie diese Vorlage in Thurzo's Hände kam, bzw. wer wirklich der Initiator ihrer Realisation in Form eines Altars war. Ähnlich wie bei der Frage der Urheberschaft der Altarbilder, die bisher bekannten Angaben bieten keine Indizien, die zur Lösung dieses Rätsels führen könnten, sodass dieses Verbindungsglied vorläufig fehlt.