Journal ARS 29 (1996) 1-3

Klára BENEŠOVSKÁ

Petr Parléř versus Matyáš z Arrasu v pražské katedrále sv. Víta
[Petr Parler versus Matthias von Arras im Prager St.-Veits-Dom]
[Matthias of Arras versus Petr Parler in the Cathedral of St. Vitus in Prague]

(Summary)

Die Frage der Wenzelskapelle im Kontext des gotischen Domes wurde im internationalen Zusammenhang zuletzt im Katalog der Kölner Ausstellung "Die Parler und der schöne Stil" und im Rahmen der damaligen Konferenz bewertet. Der tschechische Forscher D. Líbal hatte damals wiederum das Problem der Autorschaft der gotischen Wenzelskapelle aufgeworfen, wobei er auf ihre Unterschiedlichkeit und gewiße "Selbständigkeit" im Vergleich zu anderen Kapellen, auf die angeblichen Anomalien in der Eingliederung in die Südseite des Domes und auf die "nicht-parlersche" Profilierung der Dienste hinwies. Dies löste unter den ausländischen Forschern eine Reaktion aus - man untersuchte die Möglichkeit der Autorschaft Matthias von Arras, fragte nach seinem Anteil am Entwurf und an der Gestaltung des Gewölbes, das traditionell Petr Parler zugeschrieben wurde, und überprüfte wiederholt auch den Einfluß Matthias von Arras auf Petr Parler. Dieses "Mißverständnis" entstand dadurch, daß man die eindeutigen Beweise unberücksichtigt ließ, die den Bau der Kapelle erst in die Zeit nach dem Jahre 1356 festsetzen und die Autorschaft der Parlerhütte bezeugen. Sie wurden bereits im Jahre 1911 und nochmals im Jahre 1934 durch Kamil Hilbert publiziert und wurden durch die von J. Vítovský unternommene Untersuchung der Steinmetzzeichen der Parlerhütte in der Kapelle unterstützt. Die Entfernung des Fußbodens der Wenzelskapelle im Jahre 1911 ermöglichte bessere Erkenntnis dessen, wie man mit den körperlichen Überresten des hl. Wenzels im Mittelalter manipuliert hatte, erklärte die Veränderungen in der Gestaltung seiner Grabstätte und präzisierte die Nachrichten aus den Chroniken. Seit dem Fund der authentischen Urkunde wissen wir, daß Karl IV. im Jahre 1348 in der ursprünglichen Kapelle der romanischen Basilika eine neue St.-Wenzel- Tumba erbauen ließ, die bereits mit Gold und mit Edelsteinen verziert wurde, die in Behälter eingelegt waren. Die Art und Weise der Vergoldung unterschied sich von der aus dem Jahre 1370 - zuerst wurde das Gold direkt auf glatte Fläche gelegt und nicht in Fugen mit eingepressten Ornamente, die erst später vergoldet wurden. Alle Angaben aus den Chroniken und Dominventaren, die die Ausschmückung des St.-Wenzel- Tumba betreffen, müssen wir auf dieses im Jahre 1348 errichtetes Grabmal beziehen. Erst 1366 wurde durch die Parlerhütte in der neu errichteten Kapelle eine größere Sandsteintumba mit einer Altarmensa an ihrer Westseite erbaut. Die Unregelmäßigkeiten in der Eingliederung der Wenzelskapelle in das Organismus des Domes sind absichtlich - eine Folge der außerordentlichen Position, die die Zentralstellung der Kapelle in der Krönungszeremonie spiegelt. Diese Zentralstellung ist nicht nur durch die Bedeutung der Tradition des Kultes des hl. Wenzels in der Politik Karls IV. bedingt, sondern auch durch seine persönliche Beziehung zu diesem Heiligen und Landespatron. Die Kappelle sollte den Eindruck eines selbständigen, in sich geschlossenen Heiligtums erwecken und wurde auch mit einem gewissen Vorsprung zum Rest des Dombaus (mit Ausnahme der Goldenen Pforte) gebaut. Die Verbindung der Kapelle mit dem Umgang wurde erst nach der Niederreißung der Nordapsis der alten Basilika im Jahre 1369 und nach dem Fertigbau des Umgangs an der Nordseite der Kapelle vorgenommen.

Matthias von Arras muß als erster Baumeister des gotischen Domes in Prag über Pläne des Gesamtbaus verfügt und die Gestalt der Wenzelskapelle mit seinem königlichen Bauherrn besprochen haben. Mit diesen nicht erhaltenen, jedoch sehr wahrscheinlichen Entwürfen wird sich auch sein Nachfolger, Petr Parler, auseinandergesetzt haben. Während wir einen Beweis dafür besitzen, daß das Muster des Sterngewölbes in der Sakristei bereits der erste Bauhütte, vielleicht auch inklusive des hängenden Kielsteins, bekannt war, haben wir dagegen keinen Beweis dafür, daß das Gewölbemuster der Wenzelskapelle vom Matthias übernommen worden wäre. In beiden Fällen ist jedoch wichtig, wie Petr Parler mit diesem wahrscheinlichen Muster umging. Es steht fest, daß sowohl in der noch durch die Matthiashütte begonnenen Sakristei, als auch in der Wenzelskapelle der Baumeister Petr Parler zu den linearen, fein profilierten Formen zurückkehrt, die an die Formensprache seines Vorgängers erinnern. Es sind jedoch nur raffinierte Variationen auf den Stil seines Vorgängers, die auf einer völlig unterschiedlichen Grundlage beruhen, die nicht aus klar voneinander gegliederten Elementen hervorgehen, wie es der Bautektonik bei Matthias entsprechen würde.

Ich bin der Meinung, daß dieser notwendige Anfangsdialog Parlers mit dem Stil Matthias von Arras seine spätere Entwicklung wesentlich bereichert und seinen Sinn für den Kontrast zwischen dem feinen, zeichnerischen Charakter der Linien und den plastisch modellierten Formen ausgeprägt hatte, die dann zu einer der Komponenten von Parlers Stil in der Architektur und in der Plastik geworden waren.